Reform der Pflegeversicherung

Unsere Forderungen

Angesichts der wachsenden Herausforderungen bei der pflegerischen Versorgung und der Finanzierung der Pflegeversicherung ist eine grundlegende Reform unseres Pflegeversicherungssystems erforderlich, um es gerechter und effizienter zu gestalten. Die aktuelle Pflegeversicherung ist geprägt von starren Sektorengrenzen, einer erheblichen Bürokratielast und einer ungerechten Quersubventionierung zu Lasten pflegender Angehöriger geprägt. Während stationär untergebrachte Pflegebedürftige verhältnismäßig höhere Leistungen erhalten, müssen ambulant gepflegte Menschen mit geringeren Mitteln auskommen. Unzählige Pflegeberatungsangebote täuschen derzeit darüber hinweg, dass das heutige System im ambulanten Sektor den pflegenden Angehörigen zu wenig finanzielle Mittel zur Verfügung stellt und ihnen stattdessen unzählige bürokratische Hürden in den Weg legt. Die aktuelle Leistungsbemessung privilegiert den stationären gegenüber dem ambulanten Sektor ungerechtfertigt.

Der demografische Wandel erhöht die Nachfrage nach professioneller Pflege, da es immer mehr ältere Menschen gibt, die immer weniger familiäres Unterstützungspotential haben; gleichzeitig sinkt das Arbeitskräfteangebot, wodurch immer mehr Pflegedienste ihre Leistungen reduzieren müssen, weil das benötigte Personal fehlt. Bereits heute ist die Angebotsstruktur innerhalb Deutschlands sehr unterschiedlich, sodass immer mehr pflegende Angehörige ihren Beruf aufgeben oder reduzieren müssen. Das verstärkt den Fachkräftemangel und bedroht insbesondere die berufliche Zukunft und finanzielle Sicherheit im Alter von vielen Frauen. In Zukunft werden immer weniger Menschen professionelle Pflege in Anspruch nehmen können, während sie die wenigen, denen dieses Privileg zuteil wird, quersubventionieren. Das ist kein haltbarer Zustand! 

Wir fordern einen gerechten Zugang zu Leistungen für alle pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen. Neun von zehn Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt. Sie und ihre Angehörigen müssen deshalb  in den Fokus künftiger Reformen gestellt werden. Wir schlagen eine Reform vor, die die ambulante Versorgung stärkt und den Pflegebedürftigen mehr Selbstbestimmung gibt, indem sie die ihnen zustehenden Mittel direkt erhalten und ihre Pflege selbstbestimmt organisieren können. Kernpunkte dieser Reform sind:

1. Direkte Auszahlung der Pflegeleistungen

  • Pflegebedürftige erhalten unabhängig vom Ort der Versorgung entsprechend ihres Pflegegrades eine feste Summe, mit der sie ihre Pflege individuell organisieren können.
  • Dies schafft Planungssicherheit und verhindert, dass Pflegebedürftige von starren Strukturen abhängig sind.

Wir überführen die bisherigen ambulanten und stationären Leistungen in ein gemeinsames neues Pflegegeld (s. Punkt 6 für weitere Ausführungen). Unabhängig von der gewählten Versorgungsform erhalten Pflegebedürftige einen festen Beitrag, den sie selbstbestimmt für ihre Pflege einsetzen können. Das Geld wird direkt an die Pflegebedürftigen ausbezahlt. Hierdurch geben wir den Pflegebedürftigen ein großes Stück Autonomie zurück, da sie ihre Pflege unabhängig von starren Strukturen organisieren können.

Insbesondere für Versicherte im Pflegegrad 1 bedeutet unser System eine deutliche Verbesserung. Aktuell werden in Pflegegrad 1 viele Leistungen nicht abgerufen, da die Hürden zu hoch sind und den Versicherten die einzelnen Leistungen nicht bekannt sind. Gleichzeitig können Angehörige, Nachbarn, Freunde etc. nicht für ihre Aufwendungen entschädigt werden, da sie nicht über die erforderliche Qualifikation für den Entlastungsbetrag verfügen. Mit der direkten Auszahlung der Leistung stärken wir die wachsende Gruppe der hochaltrigen Versicherten in Pflegegrad 1 und sorgen dafür, dass diese besser versorgt werden können. Somit kann der bei der Einführung der Pflegegrade formulierte Präventionsanspruch für Pflegegrad 1 erfüllt werden, indem diese Gruppe einen besseren Zugang zu Leistungen erhält.

Eine Auszahlung des Pflegegeldes an die Pflegepersonen lehnen wir ab. Dies schafft ein Abhängigkeitsverhältnis zu Lasten des Pflegebedürftigen. Weitergehende Ideen wie die Auszahlung des Pflegegeldes an private Pflegepersonen an den Erwerb von Basisqualifikationen und/oder konkreten Leistungsvereinbarungen zu koppeln, lehnen wir ebenfalls ab. Diese Vorschläge zeugen von großem Misstrauen gegenüber den pflegenden Angehörigen. Wir befürchten einen Rückgang des zivilgesellschaftlichen Engagements, wenn finanzielle Zuwendungen an Auflagen und Nachweise geknüpft werden. Wir wollen den Pflegebedürftigen den größtmöglichen Freiraum bei der Gestaltung ihrer Pflege bieten. Das gelingt am besten, wenn sie frei von bürokratischen Hürden mit ihren Pflegepersonen ihre Pflege selbständig organisieren können. 

Ein System, welches die Auszahlung des Pflegegeldes an Pflegepersonen an Bedingungen knüpft, muss zudem hierfür neue Kontrollinstanzen schaffen. Dies verursacht zusätzliche Kosten und erschwert die Organisation der Pflege. 

Die Sicherstellung der Pflege soll weiterhin durch ein Zusammenspiel von Pflegeberatung, Pflegebegutachtung, Ärztinnen und Ärzten, Pflegefachpersonen und weiteren (kommunalen) Akteurinnen und Akteuren überprüft werden (s. Punkt 4 für weitere Ausführungen).

2. Auflösung der Sektorengrenzen

  • Die künstliche Trennung zwischen stationärer und ambulanter Pflege entfällt.
  • Pflegeleistungen können nach individuellem Bedarf flexibel und modular genutzt werden.
  • Bürgerschaftliches Engagement wird durch eine Flexibilisierung der Leistungserbringung gefördert. Vereine, Gemeinden und Nachbarschaften können sich niedrigschwelliger organisieren und bei Bedarf professionelle Pflege dazubuchen.
    • Die Preise für professionelle Pflegeleistungen werden in einem transparenten Verfahren zwischen Versicherungen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Kommunen, Politik, Pflegeanbietenden und Betroffenen festgelegt.

Die starren Sektorengrenzen verhindern neue Innovationen in der Versorgung von Pflegebedürftigen und das Zusammenspiel von professioneller und zivilgesellschaftlicher Pflege. Aktuell wird in der stationären Versorgung das zivilgesellschaftliche Engagement verdrängt, da es sich um eine Vollversorgung handelt und das vorherrschende Leistungsrecht keinen Raum für eine Kombination zwischen stationärer und zivilgesellschaftlicher Versorgung lässt. Initiativen, die diesen Ansatz verfolgen, verharren aktuell im Modellprojekt-Status.

Eine neue Wohnform, die sich zwischen ambulant und stationär positioniert, sind ambulante Wohngruppen oder „Pflege-WGs“. Diese werden von der Politik zurecht gefördert. Dennoch handelt es sich hierbei leistungsrechtlich häufig um Stapelmodelle, bei denen verschiedene leistungsrechtliche Elemente aus dem ambulanten und stationären Bereich kombiniert werden. Das führt zu höheren Ausgaben für die Pflegeversicherung, ohne dass es eine bessere Versorgung für die Versicherten gewährleistet wird. 

Die Aufhebung der Sektorengrenzen befreit die Anbietenden von viel Bürokratie und erlaubt ihnen, die Pflegeleistungen individuell anzubieten und dadurch Elemente aus ambulanter, stationärer und zivilgesellschaftlicher Versorgung zu kombinieren. Demgegenüber würde die Einführung eines dritten Versorgungszweiges „stambulant“, die Abgrenzung zwischen den Sektoren noch schwieriger machen, weil es von dann an zwei statt nur einer Sektorengrenze gibt. Das führt zu noch mehr Bürokratie und birgt die Gefahr zusätzlicher Ausgaben durch Stapelleistungen. 

Da es eine große Heterogenität zwischen den Pflegebedürftigen gibt, sollten alle Pflegebedürftigen die Möglichkeit haben, sich ihre Pflege individuell zusammenstellen zu können. Das kann nur gelingen, wenn sich die Pflegebedürftigen frei von Sektorengrenzen selber aussuchen dürfen, welche Pflegeleistungen sie von professionellen Anbietenden und welche von zivilgesellschaftlichen Personen durchgeführt wissen möchten. Das ist nur mit der Aufhebung der Sektorengrenzen möglich, wodurch gleichzeitig den Anbietenden ermöglicht wird, den Pflegebedürftigen innovative, maßgeschneiderte Versorgungsangebote zu machen. Somit werden auch explizit junge Pflegebedürftige, Menschen mit Long Covid oder Behinderungen von dieser Pflegereform berücksichtigt. 

3. Faire Preisgestaltung von Pflegeleistungen

  • Darüber hinaus können zusätzliche Leistungen frei bepreist werden, um ein flexibles und bedarfsgerechtes Angebot zu ermöglichen.

Ohne regulierte Verhandlungen könnten Anbietenden - grade bei Angebotsknappheit - Preise drastisch erhöhen. Einheitliche Vergütungssätze ermöglichen, dass Pflegeleistungen in allen Einkommenssegmenten finanzierbar ist. Zudem ermöglicht eine in Teilen feste Leistungsvereinbarung Pflegekassen, Pflegeanbietenden, Kommunen und Pflegebedürftigen eine gewisse Kalkulierbarkeit der Kosten und schützt die Pflegebedürftigen vor plötzliche Preisexplosionen. Unser Vorbild ist hierbei die Gebührenordnung für Ärztinnen und Ärzte (GOÄ). Ähnlich wie bei der GOÄ können auch in den Verhandlungen für die Pflegesätze besondere Aufwände (z.B. lange Fahrtzeiten im ländlichen Raum) durch Faktoren geltend gemacht werden. Im Gegensatz zur GOÄ sollen bei der Festlegung der Vergütungssätze Betroffene, Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt werden, um ein transparentes und inklusives Verfahren zu ermöglichen.

Individuelle Pflegesatzverhandlungen, wie sie derzeit in der stationären Pflege stattfinden lehnen wir ab. Die Verhandlungen sind komplex, langwierig und oft intransparent.  Zudem sind dabei kleinere Einrichtungen gegenüber größeren Trägern strukturell benachteiligt.  Die individuellen Pflegesatzverhandlungen belasten die ohnehin begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen, die in der Pflege besser eingesetzt wären. Insbesondere kleine Leistungsträger klagen über langwierige Verhandlungen mit den Kostenträgern. Das erhöht die wirtschaftliche Unsicherheit. In unserem Modell gibt es klare Preise, mit denen die Anbietenden kalkulieren können. Die Finanzierung erfolgt direkt über die Pflegebedürftigen, sodass Unternehmungsschließungen aufgrund von ausbleibenden Kassenzahlungen vermieden werden. 

4. Unabhängige Pflegebegutachtung und Missbrauchskontrolle

  • Pflegebedürftige werden weiterhin durch unabhängige Dienste (Medizinischen Dienst, Medicproof und weitere qualifizierte Anbietende) geprüft, welche von den Pflegekassen und Versicherungen beauftragt werden.
  • Dienste, die Begutachtungen durchführen, wirken strukturellem Leistungsmissbrauch entgegen.
  • Erkenntnisse der Pflegebegutachtung sollen anderen Stellen nutzbar gemacht werden.

Fairness und Glaubwürdigkeit bei der Verteilung von Versicherungsleistungen sind obligatorisch, um das Vertrauen in die Pflegeversicherung der Zukunft zu gewährleisten. Eine unabhängige und standardisierte Begutachtung ist dafür die Grundlage. Sie bildet nicht nur die Entscheidungsgrundlage für die Verteilung von Versicherungsleistungen, sondern gewährleistet auch deren Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Bei pflegebedürftigen Menschen handelt es sich meist um vulnerable und schutzbedürftige Personen. Sie stehen im Zentrum des Verfahrens und Ihnen soll grundsätzlich vertraut, nicht misstraut werden. Dieses Vertrauen bildet das Fundament eines würdevollen Systems. Gleichzeitig gilt es auch die Versicherungsgemeinschaft vor Leistungsmissbrauch einiger weniger zu schützen. 

Die Gutachterinnen und Gutachter übernehmen daher eine doppelte Rolle: Sie sorgen einerseits dafür, dass der tatsächliche Unterstützungsbedarf eingeschätzt wird und andererseits erhalten Sie Einblicke in Pflegesettings und können bei kritischen Situationen intervenieren, um die pflegebedürftige Person zu schützen. Zudem gehen die Dienste, die Begutachtungen anbieten, strukturell gegen Leistungsmissbrauch vor und arbeiten diesbezüglich zusammen, sodass das Vertrauen in die Pflegeversicherung sichergestellt wird. Gegen Leistungsmissbrauch soll insbesondere auf struktureller Ebene und bei konkreten Hinweisen vorgegangen werden, sodass Pflegebedürftige nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Entscheidungen der Pflegebegutachtung soll weiterhin anfechtbar sein. So wird sichergestellt, dass sowohl der Schutz der Betroffenen als auch die Verantwortung gegenüber der Versichertengemeinschaft in einem solidarischen Gleichgewicht bleibt. 

Die Pflegebegutachtung stellt einen Zugang zu den Versicherten im Rahmen des SGB XI dar. Neben der bereits erwähnten Feststellung des Pflegebedarfes werden im Rahmen der Pflegebegutachtung auch Empfehlungen zu Pflege-/Hilfsmitteln, wohnumfeldverbessernden Maßnahmen, Heilmitteln sowie Prävention abgegeben. Zur Stärkung des Präventionsgedanken ist es notwendig, dass diese Empfehlungen weiteren Stellen zur Verfügung gestellt werden, um mögliche Ansätze zum Erhalt der Selbständigkeit gemeinsam mit den Pflegebedürftigen zu erörtern. Dabei bieten sich insbesondere (Haus)-ärztinnen und -ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten und die Pflegeberatung an. Diesen sollte das Pflegegutachten übermittelt werden, um den Informationsfluss zwischen den Schnittstellen zu verbessern. Bei Einwilligung der Begutachteten soll das Pflegegutachten automatisch in der ePA abgelegt werden. Die Begutachtungssituation einigt sich aufgrund ihres Charakters nicht dafür, Maßnahmen zum Erhalt der Selbständigkeit zu diskutieren. aber durch die Kooperation mit anderen Stellen können die getroffenen Empfehlungen diskutiert und reflektiert werden. Aus den Daten der Pflegebegutachtung können wichtige Informationen der gesellschaftlichen Gesundheits- und Pflegesituation abgeleitet werden. Die Daten der Begutachtungen sollen in pseudonymisierter Form dem Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) zugespielt werden und so der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. 

5. Stärkung der Kommunen und Qualitätssicherung

Wir wollen die Rolle der Kommunen im Bereich der Pflege stärken, denn die Pflege findet vor Ort statt und es braucht ein starkes Wissen über die vorhandenen lokalen Angebote, um die pflegenden Angehörigen zu unterstützen, das zivilgesellschaftliche Engagement bestmöglich zu nutzen und die Pflege sicherzustellen. 

Den Kommunen kommen dabei folgende zentrale Aufgaben zu:

  • Überprüfung der Pflegearrangement durch die WTG-Behörde. Dabei sollen größere Arrangements regelmäßig und kleinere stichprobenartig überprüft werden. 
  • Engmaschige Begleitung, wenn die Pflege von pflegebedürftigen Menschen nicht sichergestellt werden kann und die pflegebedürftige Person nicht selbst in der Lage ist ihre Situation zu verbessern

Als Teil dieser neuen Struktur sollen kommunale Pflegestützpunkte eingerichtet werden, die Fortbildungen anbieten, über Hilfsmittel informieren, Versorgungsqualität überprüfen und unterstützend Pflegepläne erstellen. Bedarfsgerecht können die Kreise eigene Schwerpunkte bilden. Die engere Verzahnung von Gesundheit und Pflege in der neuen Struktur wird die Versorgungsqualität verbessern und die kommunale Pflegeplanung stärken. 

Zudem wollen wir den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) zu einem kommunalen Gesundheitsdienst weiterentwickeln, deren Aufgabenfokus unter anderem auf Datensammeln, Vernetzung, Konzipierung von Handlungsempfehlungen, Stärkung der Gesundheitskompetenz liegt. Bisherige individualmedizinische Aufgaben sollen von niedergelassen Ärztinnen und Ärzten, Pflegefachpersonen etc. übernommen werden. Die Leitung dieses neuen Instituts obliegt damit Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerinnen oder Pflege- und Gesundheitswissenschaftlern und sollte nicht historisch bedingt nur Ärztinnen und Ärzten vorbehalten sein.

Durch die kommunale Zuständigkeit können Versorgungslücken frühzeitig erkannt und vulnerable Menschen durch eine engmaschige Begleitung geschützt werden. Die Reform bringt Nähe, Verantwortungsübernahme und strategisches Denken in die kommunale Pflegepolitik. Sie überwindet den Flickenteppich aus Zuständigkeiten und stärkt Pflege als Teil einer lokalen Daseinsvorsorge: präventiv, gerecht und zukunftsfest.

Durch die Stärkung der Netzwerkfunktion der Kommunen können diese auch eine stärkere Funktion im Bereich der Prävention einnehmen. In Deutschland mangelt es in den meisten Bereichen nicht an Angeboten zur Prävention, sondern an Angebotstransparenz und dem Wissen der Menschen über diese Angebote. Hier kann die Kommune durch die Einrichtung von Online-Wegweisern für Präventionsangebote und analogen Äquivalenten zur besseren Bekanntheit von Präventionsangeboten beitragen. 

Die Hilfe zur Pflege ist eine Leistung der Sozialhilfe, die dann gewährt wird, wenn die Pflegekosten nicht durch eigenes Einkommen, Vermögen oder Leistungen der Pflegeversicherung gedeckt werden können. Die Kosten dafür tragen die Kreise und kreisfreien Städte. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger der Hilfe zur Pflege gestiegen, was insbesondere an den steigenden Eigenanteilen der Pflegeheime liegt. Durch einen erhöhten Anreiz und die finanzielle Absicherung von pflegenden Angehörigen kann sowohl der Wunsch der pflegebedürftigen von der Pflege zu Hause gerecht werden, als auch die Kreise und kreisfreien Städte von den steigenden Ausgaben entlastet werden.

6. Beiträge der Pflegeversicherung nur für die Pflegeversicherung nutzen

  • Die Ausbildungsumlage wird als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus Steuermitteln finanziert. 
  • Die medizinische Behandlungspflege wird von der Krankenkasse finanziert.
  • Die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige gehen in dem pauschalen Beitrag des Pflegegeldes auf. 

Die Pflegeversicherung steckt in einer schwierigen finanziellen Lage, da seit Jahren die Ausgaben die Einnahmen übersteigen. In 2021 und 2022 lag das Defizit bei  1,4 bzw. 2,2 Mrd. €. 2023 konnte ein Überschuss von 1,8 Mrd. € aufgrund von Beitragssteigerungen erzielt werden, aber 2024 betrug das Defizit wieder 1,5 Mrd. €. Auch von 2017 - 2019 konnten nur Beitragssteigerungen ein Defizit verhindern. Der Grund für diese Entwicklung ist eine starke Zunahme der Pflegebedürftigen. Von 2019 - 2021 stieg die Anzahl der Pflegebedürftigen um 20 % und von 2021 - 2023 nochmal um 14 %. Diese Anstiege verlaufen weit über das demografisch zu erwartbare Maß hinaus.  Diese Steigerungen sind vielmehr auf die Ausweitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes in 2017 zurückzuführen, die den Kreis der Leistungsberechtigten in der Pflegeversicherung massiv ausgeweitet hat. Dabei profitierten insbesondere Menschen mit geringen Einschränkungen, da sie dank der Reform leichter Zugang zu Leistungen aus der Pflegeversicherung haben. Menschen mit kognitiven Einschränkungen profitierten ebenso, da sie dank der Reform höhere Leistungen erhielten.

86 % der Pflegebedürftigen werden ambulant betreut und von diesen erhielten 2023 63 % ausschließlich Pflegegeld. Insgesamt werden somit mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen nicht von professionnellen Anbietenden, sondern ausschließlich durch private Pflegepersonen betreut. Diese Gruppe stieg in den letzten Jahren am stärksten an und wird weiter wachsen. 

Trotz der großen Zunahme an Leistungsberechtigten wären die Einnahmen der Pflegeversicherung aus Perspektive des jetzigen Systems „ausreichend“, wenn die Pflegeversicherung aus den Beitragszahlungen nur Pflegeleistungen finanzieren würde. Aktuell ist die Pflegeversicherung jedoch auch für die Ausbildungsumlage (250 Mio. € jährlich), die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige (4 Mrd. €) und die medizinische Behandlungspflege (3 Mrd. jährlich) (Rothgang 2025 & AOK 2025) zuständig. Die ersteren beiden Ausgaben sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben und sollten aus Steuermitteln finanziert werden. Letztere Ausgabe sollte von der Krankenversicherung finanziert werden. Das ist deswegen geboten, weil in dem neuen Leistungssystem von den Anbietenden nur pflegerische Leistungen übernommen werden sollen. Allein diese Ausgaben einzusparen, würde die Pflegeversicherung entlasten und bei konstanten Beitragssatz erlauben, wieder Rücklagen aufzubauen, bis in den 2030er Jahren erste Mittel aus dem Pflegevorsorgefonds zur Beitragsstabilisierung genutzt werden können.

Abgesehen davon, dass die Finanzierung der Rentenversicherungsbeiträge als gesellschaftliche Aufgabe über Steuermittel finanziert werden sollte, ist dies mit einem nicht unerheblichen Bürokratieaufwand verbunden. Mit unserem Reformvorschlag erlangen Pflegebedürftige und angehörige sowie ehrenamtlich pflegende eine höhere Planungssicherheit und Kontrolle über ihre derzeitige und zukünftige Absicherung. 

Eine Erhöhung der Einnahmen durch Beitragssteigerungen sollte solange nicht erfolgen, wie im System noch Potentiale für eine bessere Verteilung und Nutzung der Gelder bestehen. Daher besteht der Kern unseres Reformvorschlages die Berechnung des Pflegegeldes: Ausgehend von den Leistungsausgaben der Pflegeversicherung und der Pflegegradverteilung des Jahres 2023 innerhalb der SPV haben wir angenommen, dass alle Leistungsbeziehenden Pflegegeld beziehen (im Falle des Pflegegrades 1, bei dem es derzeit kein Pflegegeld gibt, haben wir 80 € angenommen). Das Pflegegeld des jeweiligen Pflegegrades haben wir mit der Anzahl der Leistungsbeziehenden je Pflegegrad multipliziert und dies durch die Summe des angenommenen Pflegegeldes aller Leistungsbeziehenden geteilt. Dies haben wir mit dem sich im System befindenden Geld (2023: 59 Mrd. €) multipliziert und durch die Pflegebedürftigen je Pflegegrad geteilt. Anschließend haben wir je Leistungsbeziehenden 3 % Verwaltungskosten abgezogen. Die Berechnung basiert auf den offizielen Angaben des BMG: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege/pflegeversicherung-zahlen-und-fakten.html.

Diese Reform verändert nicht die Finanzierung der Pflegeversicherung, sondern sorgt für eine gerechtere Verteilung der Mittel. Sie stellt sicher, dass Angehörige bei mangelnden Pflegeangeboten nicht allein gelassen werden und ihre pflegebedürftigen Familienmitglieder bestmöglich versorgen können. Durch den Abbau unnötiger Bürokratie werden mehr Mittel direkt in die Pflege investiert – für eine menschlichere, gerechtere und zukunftsfähige Pflegeversicherung.

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